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| Es ist wieder so weit! Schon zum zweiten Mal in meiner kurzen Jagdlaufbahn fliegen Sergey und ich nach Moskau, diesmal am 2. September 2010, um weiter mit dem Nachtzug in unser Zielgebiet, das „Udmurtische Land“, zu kommen. |
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Mit dabei ist unser Michael, mein umsatzstärkster russischer Kunde, der gerade etliche neue Produktideen mit auf den Weg nehmen will, die während unseres Jagdaufenthaltes von immerhin knappen 5 Wochen (inklusive Reisezeit) dann ausgiebig diskutiert werden sollen. Die bekannten Reise-Prozeduren hinter uns gebracht, stehen wir auf dem Gelände des Jagdhofes und der Sohn des Chefs von Wladimir Rijabov, mit Namen „Artöm“, empfängt uns und weist uns unser diesiges Quartier an. „Ein umgebauter Stall“, wie Sergey sarkastisch bemerkt, das auch nur ein paar Meter hinter einer allzeit kläffenden Hundemeute, dem hauseigenen Huskie-Zuchtbetrieb, Platz gefunden hat. Elch-Hirsche möchte ich jagen. Jeden Tag sind wir draußen - Schon früh am Morgen geht’s los: Um 4 Uhr aufstehen, frühstücken und dann hinausfahren in das riesige Jagdgebiet von 60 000 Hektar. Spuren finden wir genügend im sandigen Waldboden, aber einen Elch kriegen wir nicht zu Gesicht. |
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| Tage und Nächte lang versuchen wir unser Glück. Artöm, unser zuständiger Betreuer, und einer der hier dazu gehörigen Berufsjäger, ist immer mit dabei - und der versucht jetzt in der Brunftzeit einen Hirsch anzulocken. Mehr oder weniger! Es klappt nicht, kein Hirsch fällt auf den nachgeahmten Brunftschrei herein und, was bleibt, sind die Erlebnisse und Eindrücke eines Europäers in dieser russischen Landschaft |
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| Nach etlichen erfolglosen Tagen hat auch der Chef Zeit für uns und Wladimir nimmt mich mit zu seinem morgendlichen Stöber (oder Hetzspektakel). Einige seiner Spürhunde setzt er irgendwo im Gelände auf frisch gefundene Spuren an und lässt sie laufen. Schnell findet sich das Alpha-Tier unter den Huskies und übernimmt erkennbar die Führung. So verfolgen die Hunde unerbittlich ihre warme Spur. Uns Jägern bleibt dann nur hinterher zu kommen. Heute erwischte es eine Sau, etwa 80 Kilo schwer. Es war gar nicht so leicht, der allein ziehenden Bache mit meiner Schrotflinte und den Brenneke-Geschossen auf den Leib zu rücken, Die Hundemeute lies kaum Zeit für lange Schussüberlegungen, so 30 Meter vom Objekt entfernt. 3 Treffer strecken die Sau zu Boden und unser täglicher Speiseplan war von nun an mit gekochtem oder gebratenem Saufleisch noch üppiger denn je. |
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Am nächsten Tag, so übersetzt mir Sergey, soll es noch mal losgehen - wie heute auf Hetzjagd, aber ob wir auf diese Art einen Elch zu Gesicht bekommen? Ich sage zu - Nach den erfolglosen Lockjagden bin ich froh, wenigstens so wie heute auf eine Sau zu treffen. Bei diesigem Nebel, am frühen Morgen und bei Minus 2 Grad (hier schon im September!) geht’s los: Aufgesessen auf den russischen Uaz, fahren wir zu Dritt raus auf ein Feld, das mit extra ausgebrachten Haferhaufen, nachts für ein „Wirr-Warr“ an Spuren gesorgt hat. Mich interessieren hauptsächlich Schwarzwild-Spuren, ein reifer Keiler wäre mein Lieblingswild. Wladimir erklärt mir die Abdrücke im sandigen Feldboden: Es finden sich Bär-, Elch- und auch Wolfspuren, aber hauptsächlich Schwarzwildspuren sind an den zerwühlten Haferhaufen auszumachen. Wladimir lässt die Hunde von der Leine und der mehrmals prämierte Rüde „Schoroch“ übernimmt nun das Kommando. Wieder habe ich nur eine alte Schrot(t)flinte dabei und die Taschen voller Brenneke, die Kugellaufwaffen der ansässigen Jägerschaft sind bereits an andere Jäger ausgegeben oder einfach nicht einsatzfähig! Gut zu Fuß bin ich ja „Gott sei dank“; denn es ist nicht gerade leicht mit den geübten Waldläufern mitzuhalten. Querfeldein renne ich nun mit den beiden Jagdprofis hinter der Hundemeute her. Sie geben dauernd Spurlaut, daher ist es leicht, immer wieder die Richtung zu finden. Bin ja mal gespannt, was die da aufgestöbert haben? Nach 2 Stunden Hetze wird das Gebell hitziger und da wird klar, sie sind am Ziel ihrer Verfolgung, die Beute ist gestellt! Artöm muss nun zur eigenen Absicherung zurückbleiben, Wladimir und ich pirschen uns heran, bis auf etwa 70 Meter. Hier wartet jetzt Wladimir, er hat einen Simonow - Selbstladekarabiner dabei, der aber nur Einzelschüsse abfeuern kann - Auch in Russland ist Dauerfeuer bei der Jagdausübung verboten! Nun ist es an mir, wie gestern, die gestellte Jagdbeute der Hunde zur Strecke zu bringen. Noch weiß ich nicht, was mich da vorne erwartet, und so versuche ich, geduckt gegen den Wind näher heranzukommen. Die Vegetation ist zu üppig, ich sehe einfach nicht, was da vorne los ist ... Daher überlege ich, auf einen Baum zu steigen, aber wie soll ich von da dann schießen? Schnell verwerfe ich den Gedanken wieder. Das Gebell ist nun deutlich vor mir und da vernehme ich - plötzlich erschrocken - ein tiefes Brummen, das in einem knurrigen Laut endet. „Oh, Scheiße, das muss ein Bär sein!“ trifft es mich, ein Keiler macht andere Geräusche. Nach ein paar Minuten, habe ich das braun–schwarze Fell-Knäuel im Sichtfeld, etwa 30 Meter trennen mich von ihm. Die vier Hunde tanzen bellend um den Bär herum und meine Schrotflinte ist in beiden Läufen geladen und gespannt. Nur einen Teil des stehenden Bärs kann ich momentan sehen, ich ziele hinter das Blatt, da drängt sich ein Huskiekörper dazwischen - und jetzt ...? Gerade ist die Sicht wieder frei, ich drücke ab, aber das Schloss für den oberen Lauf schlägt nicht ab. Nicht gespannt? Jetzt nur nicht nervös werden; nochmal spanne ich die Flinte und nehme den hinteren Abzug für den unteren Lauf. Das Spiel beginnt von neuem. Plötzlich schlägt der Bär nach einem Huskie und jagt ihn zugleich etwa 2o Meter nach rechts in eine Dickung. Kurz bleibt der Bär stehen - und „Bumm“ steuert das erste Geschoss seinem Ziel entgegen. Der Bär zeichnet nicht mal und schaut jetzt herüber zu mir, ich bin gerade mal 25 Meter entfernt. Ich lade den unteren Lauf und spanne - der obere funktioniert ja nicht. Mann, hätte ich bloß diese Knarre Probe geschossen, zwei mögliche Schüsse hintereinander, geben einfach mehr Sicherheit! Ich bin mir nicht sicher, ob der Bär jetzt von Angesicht zu Angesicht seinen wahren Feind erkannt hat, und mein Puls rast in die Höhe. Der Bär schlägt wieder nach den Hunden und erneut verlässt eine Brenneke den Lauf meiner Flinte. Habe ich getroffen? Schon bin ich wieder am Laden, schaue über den Lauf und fokussiere den Bärenkörper über das aufgesetzte Balkenkorn. Der Bär steht leicht spitz und die losgelassene Brenneke faucht in den Hals des Bären da vor mir. Er steht noch, als ob diese Geschosse keine Wirkung haben, für diesen mit Adrenalin aufgepeitschten und wohl Todesangst gepeinigten Bären. Die Hunde bellen und fahren um den Bären herum, was das Zeug hält. Abrufen kann man sie an so einer Beute nicht mehr, sagen die Jäger, so was gibt’s hier nicht. Da kommt Wladimir geduckt heran, er macht sich wohl Sorgen. Ich nehme seine Simonow und gebe auf den Hals des Bären noch mal zwei Schüsse ab. Er steht immer noch, wankt aber hin und her. Jetzt fällt er und schon zerren die Hunde an ihm. „Mein Gott“, das war ein Spektakel. Nachdem der Bär im Jagdhof zerwirkt und das Fell abgezogen wird, kommen die Brenneke Treffer zum Vorschein. Zwei gegenüber liegende große Ausschüsse lassen den Schluss zu, dass der Bär, als er sich drehte, auf der anderen Seite in den Schusskanal der ersten, die zweite Brenecke abbekommen hat. Die letzte Bleikugel führte quer durch den Halsbereich und auch ein 7,62mm- Simonow-Geschoss landete als tödlicher Treffer im Hals des etwa 8 Jahre alten Bären, der weit über 200 Kilo wiegt. Ich wundere mich, dass ich trotz meiner Angst in dieser Jagdsituation nur einmal, wohl mit der Simonow daneben geschossen habe, und es reicht mir mit Bärenjagd. |
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| Ich setze ein paar Tage mit der Jagd aus. Artöm fährt uns in der Gegend herum, zeigt uns eine schön restaurierte Kirche in der Nähe und ich darf gegen den Turnus die Kirchenglocken von Hand läuten, was großen Spaß macht. |
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| Der große Vaterländische Krieg ist immer noch sehr gegenwärtig: Statussymbole in Form eines siegreichen fahnenschwenkenden Soldaten stehen beinahe in jedem Dorf (wie hier neben der Kirche) und zeugen von der einstigen politisch-motivierten kommunistischen Weltmacht Russlands. Längs sind die Zeiten andere, aber hier im Dorf und in ihrer ländlichen Umgebung ist sie (leider) noch nicht angekommen. |
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| Noch hängen viele Schiefertafeln an den Fassaden der Holzblockhäuser mit dem „Udmurtischen Wappen“ und der Aufschrift „Hier wohnt ein Teilnehmer unseres großen Vaterländischen Krieges“; darunter dessen Name, Vor- und Vatersname. Aber die Farben sind schon sehr verblasst und die Träger dieser Auszeichnung leben womöglich gar nicht mehr. |
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| Die Jugend hier hat keine großen Entwicklungsmöglichkeiten und viele verlieren sich im Alkohol, auch die ländliche Abwanderung der jungen Russen ist deutlich zu spüren, einige Dörfer in der Nähe sind leer und dem Verfall preisgegeben. Der charakteristische Charme dieser Dörfer fasziniert mich sehr und ich besuche ein altes Mütterchen, das zurückgelassen in einem Dorf mit vielleicht ehemals 200 Einwohnern seit 10 Jahren alleine leben will, oder muss. |
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| Eine echte Udmurtin, weit über 70 Jahre alt, lebt da in dem ländlichen Anwesen mit Gänsen, Ziegen, Hühnern und Bienenstöcken im Garten, die gerade vor ein paar Tagen von einem Bären geplündert wurden. Die Wohnung mutet mich an wie eine Puppenstube: Es riecht nach frisch gewachstem Boden und alles ist sauber und aufgeräumt, als hätte sie von meinem Besuch geahnt. Ich gebe ihr zum Dank, dass sie mich empfangen hat, eine Hand voll Euro und lange noch schaut und winkt sie uns hinterher aus den kleinen mit bunten Rahmen verzierten Fenstern, in ihrer guten Stube. |
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Die Tage und Wochen vergehen, einen Elch bekomme ich nicht mehr zu Gesicht. Einmal tobt einer lautstark heran, so dass ich mit meiner Flinte inmitten eines Kahlschlaggeländes das Zittern bekomme; aber er traut sich doch nicht heraus aus dem Bestand, der große Hirsch, er hat wohl Witterung aufgenommen und ist gewarnt. Sehr zum Ärger des Revierchefs Wladimir, denn der will Beute machen! Michael, mein Kunde, ist laufend damit beschäftigt, Papiere zusammen zu tragen, für ein oder mehrere „cites Dokumente“, die zur Ausfuhr meiner im Vorjahr hier geschossenen Trophäen gebraucht werden. Er hat es nicht leicht damit und erzählt abends in der Sauna, wie das so vor sich geht mit den Behörden hier und in Ischewsk, der Bezirkshauptstadt, die er bereits mehrere Mal ansteuern musste, und das ist immer eine Ganztagesreise mit dem Geländewagen. Sergey hilft ihm, so gut es geht, und wacht akribisch darüber, dass auch keine Unterschrift und kein Stempel in den Papieren vergessen wird. |
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Oftmals sitzen wir zu Dritt beieinander und sinnieren über unsere gemeinsamen geschäftlichen Projekte hier in Russland und auch darüber, wie es politisch weiter geht mit Russland und der Europäischen Union. Die laufende Abwertung des Rubel zum Euro macht uns schon eine Weile große Sorgen: „Wo werden wohl die zukünftigen Trends gemacht? Und wie schaffen wir es, die Europäischen Produktklassiker auch in Russland zu etablieren? Und so fort und so fort …“. Michael nutzt die Zeit hier, um das stressige Leben als Geschäftsmann in Moskau abzuschütteln. |
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Mit seinem Stoppelbart und seinem „mal einen über den Durst trinken“, halte ich ihn zur eigenen Erinnerung und für die Nachwelt fest. Wo er doch sonst immer diszipliniert und zurückhaltend ist, hat er dennoch gerade die Unwägbarkeiten dieser Jagdreise mit viel Geduld auf sich genommen und ertragen. „C‘est la vie“ – „So ist das Leben“, und wohl auch die Jagd. Für Michael, Sergey und mich ist sie jetzt beendet. |
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| Wir treten wieder die Heimreise an nach Moskau und schon morgen geht’s los: „Danke Tanja, dass du immer unsere Wünsche von den Augen abgelesen hast, gekocht, geputzt, und gewaschen, mein Gott, was hätten wir nur ohne dich gemacht! Danke und bis zum nächsten Mal ...!“. |
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